Xiānsheng qù năli? Ein Loblied auf Shanghais Taxifahrer

Das grüne Licht auf dem Dach spiegelt sich im nachtdunklen nassen Asphalt. Hurra, ein Taxi im Regen und das um zehn Uhr abends! Du streckst den Arm raus. Der Fahrer lässt seinen betagten VW Santana in goldmetallic blinker- und ansatzlos von der äußersten linken Spur zum Straßenrand schießen und lässt dich einsteigen. „Xiānsheng qù năli?“ (was sich ungefähr anhört wie „Chßiahnschöng tchü nahali“) – „Wohin, mein Herr?“ Jetzt beginnt die kritischste Phase der Fahrt, die korrekte Zielbestimmung. Shanghai-Anfänger haben immer ihr Ziel in chinesischen Schriftzeichen parat. Als Visitenkarte, Zettel oder auf dem Smartphone-Display, die du dem Taxler in seinen Halbkäfig aus an grau lackierten Stahlrohren geschraubtem Plexiglas reichst. Der Fahrer schaltet dann das Innenraumlicht an, kramt seine Lesebrille hervor, liest, runzelt die Stirn, liest noch einmal laut und langsam. Dann strahlt er und bellt das Ziel geradezu auf chinesisch heraus. Du nuschelst ein „Hăode“ (Sprich: Chaodö) – „Okay“ und lehnst dich zurück. Dein Fahrer legt den Gang ein, schaltet den Taxameter ein und los geht es. Lob Nummer eins: Taxifahrer, die die Uhr nicht einschalten, gibt es in Shanghai so gut wie gar nicht. Wenn er einen Festpreis verlangt, bleibst du sitzen und deutest auf die Uhr. Keine Kompromisse, niemals feilschen! Wenn du dich als anpassungswilliger Europäer zeigen willst und dein Ziel auf chinesisch nennst, wie es der Autor dieser Zeilen zu tun pflegt, schauen neun von zehn Fahrern dich verblüfft und fragend an. Du wiederholst dein Ziel langsam und überdeutlich. Der Fahrer wiederholt dein Ziel langsam, laut und überdeutlich. Das geht zwei- bis fünfmal hin und her. Während dieses Ritual abläuft, beginnt sich deine Nase langsam an den typischen Shanghaier Taxigeruch zu gewöhnen. Egal in welches der 49 000 chuzuche (Sprich: Tschudsutschö) der 23-Millionen-Metropole du steigst: Der Odeur reizt nicht zu langen Fahrten. Meist changiert der Duft zwischen Jungenschlafsaal einer Jugendherberge der frühen Sechziger, gekochtem Kohl mit einem Hauch Grüntee und frisch Erbrochenem, bisweilen parfümiert mit einem Hauch erkaltetem Zigarettendunst.
Aber mal im Ernst: Der Fahrer verbringt für runde 600 Euro im Monat im Schnitt zehn Stunden am Tag am Steuer und kennt sich in der Regel gut aus. Denn wenn du die Hoffnung, der Fahrer habe dich verstanden, fast aufgegeben hast, lacht er laut, bellt die Wunschadresse, legt den Gang ein und fährt los. Wobei ich mich immer frage, ob er beim ersten Mal das Ziel nicht verstanden hat oder nicht genau weiß, wo in der Riesenstadt ich hin will. Du wirst übrigens, auch wenn manche Reiseführer das glauben machen wollen, keinen Unterschied zwischen den einzelnen Taxigesellschaften feststellen. Egal ob du mit dem roten, grünen, blauen, hellgrünen, hellblauen, goldenen, orangefarbenen, burgunderroten, dem weißen oder einem der Expo-Taxis, das sind VW Touran in weiß mit aufgemalter Skyline in grün und gelb, fährst: Manche riechen strenger, manche Fahrer finden das Ziel schneller, manche bummeln gemütlich durch den Verkehr, manche tragen das Vettel-Gen in sich. Defekte Stoßdämpfer sind eher die Regel als die Ausnahme und vom Äußeren des Fahrers lässt sich weder auf Ortskenntnis noch auf Fahrstil schließen. Selbst die offizielle Uniform, ein abgewetztes Pilotenjackett mit zwei goldenen Streifen am Ärmel, ist kein Qualitätssiegel.
Ist das Ziel erreicht, spuckt das Taxameter ratternd eine Quittung aus, fāpiào (Spricht sich wie man es schreibt) genannt. Genau diesen Betrag bezahlst du. Kein Fahrer erwartet ein Trinkgeld. Es ist übrigens ratsam, das kleine Zettelchen mitzunehmen: Falls irgendetwas im Taxi liegengeblieben ist – wie einmal mein Handy – kann das Personal an der Hotelrezeption Taxigesellschaft und Fahrer ruckzuck orten und – wie in meinem Fall – das Handy binnen 20 Minuten wieder besorgen. Ein weiterer Grund, warum Shanghais Taxifahrer meine Helden sind.

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