Liebe Leser! Seid doch einmal ehrlich. Nervt es Euch nicht auch, wenn in deutschen Zoos die exotischen Viecher dumm in der Sonne dösen oder sich in irgendwelchen künstlich auf artgerecht getrimmten Gehegen hinter Büschen, Bäumen und Hügeln verstecken? Dafür habt Ihr Euer Eintrittsgeld nicht hingelegt. Wenn es dir um das Tier an sich ginge, hättet Ihr es für Wildschutz in Afrika angelegt, ein paar Hektar Regenwald in Brasilien gekauft oder einen Panda für eine Million Euro im Jahr adoptiert. Ihr wollt Löwen, Tiger, Krokodile direkt vor deiner Nase in Action sehen. Oder dem Känguru einen ausgeben, ihm „Smells like teen spirit“ vorsingen und nachschauen, ob es tatsächlich ganz viele geklaute Aschenbecher im Beutel hat.
Ich empfehle darum nachhaltig einen Besuch im Shanghai Wild Animal Park wie Oskar und ich ihn dieser Tage absolvieren. Da wird nicht so getan, als täte man den Tieren etwas Gutes, indem man sie in einen Zoo sperrt. Im vergitterten Bus fahren wir durch die nachgebaute Steppe, Löwen, Bären und Tiger füttern. Jedes dieser an eine gelbgestrichene grüne Minna aus dem Berlin der frühen Achtziger erinnernden Fahrzeuge wird von einem Zoo-Mitarbeiter begleitet, der den Raubtieren rohes Fleisch hinhält, bis sie außen am Busgitter hochsteigen – Finger bitte drinnen lassen! Es scheint immer ein TvD, ein Tiger vom Dienst, auf den Bus zu warten, um den neugierig um sich fotografierenden Besuchern sein Gebiss zu zeigen. Der Braunbär wird gar mit einer Möhre rund um den Bus gelockt, damit auch jeder sein Foto bekommt. Immerhin: Die Tiere haben zwar keine Verstecke, aber ordentlich Auslauf. Zumindest mehr als in Frankfurt oder bei Hagenbeck.
Gemein mit diesen Tierparks hat die Shanghaier Variante, dass man Ziegen füttern darf. Machen Oskar und ich nicht – „Ist ja wie im Volksdorfer Museumsdorf“. Dafür sind wir zu den Kängurus, singen ihnen „Smells like Teen spirit“ vor und geben einen aus. Ist zwar nur das Pressfutter, das wir sonst den Ziegen im Volksdorfer Museumsdorf fütterm. Aber sie mögen es. Der Blick in den Beutel blieb uns verwehrt: Die zum Streicheln-und-Füttern-lassen eingeteilten Hüpftiere sind allesamt männlich. Warum verstecken die Kängurus ihren Nachwuchs in Tüten, während die Männchen ihre Klöten so offen herumtragen? Egal. Kängurustreicheln ist eine Disziplin, die wir aus Deutschland nicht kennen. Ebenso wenig wie Zwerg-Hippo-Füttern, aber auf dieses Highlight verzichten wir und überlassen es einer Zehnjährigen in Ballerinas und Designerklamotten, die den Flußpferden Obst ins Maul werfen darf, unablässig von ihrer ebenso gekleideten Mutter per iPhone6 dokumentiert. Auch den obskursten Fütterungsteil lassen wir aus. Oder habt Ihr, liebe Leser, schon einmal einen Koi-Karpfen die Flasche gegeben? Scharen von Menschen drängen sich um das Becken, wo die Fische, die es an Größe mit den Weihnachtskarpfen auf dem Volksdorfer Markt durchaus aufnehmen können, sich unter heftigen Flosseneinsatz fast darum prügeln eine bräunliche Flüssigkeit per Sauger zu sich zu nehmen.
Dafür gibt es ein Foto mit Ara und eines mit einem kleinen Tiger, geboren am 19. August dieses Jahres. Ja, Ihr lest richtig. Im Shanghai Wild Animal Park wird der tierische Nachwuchs zur Kinderarbeit gezwungen. Ich bezweifle, dass das anonyme Junge, dessen Namen und Geschlecht wir niemals erfahren werden, oder seine Eltern je irgendeinen Fen der 30 Kuai sieht, die wir für das Foto löhnen müssen. Immerhin ist das – zugegebenermaßen äußerst kuschelig anzufühlende – Baby ein ganz normaler Tiger. Weder weiß – wie ein paar seiner Kollegen draußen auf der Busroute – noch ein Mischling wie die beiden Liger, eine Hauptattraktion. Papa Löwe, Mama Tiger, Nachwuchs als Hybrid unfruchtbar, ziemlich scheiße aussehend und nur als Zoo-Freak tauglich. Wenigstens haben sich die beiden offenbar drauf geeinigt, dass einer für die Menge posiert, während der andere sich ausruht. Sonst geht es ihnen wie einem Haufen anderer Tiere in diesem „Wild“ Animal Park, die einer unablässigen Trommelei ausgesetzt sind. Es gilt nämlich das Motto, wer zahlt, bestimmt die Musik. Und so gibt es immer mindestens einen Besucher, der ans Fenster trommelt, Dschungelgeräusche macht oder schlicht schreit, damit sich im Gehege etwas tut. Wahrscheinlich ist es pure Angst vor dem Publikum, dass die Pandas dazu veranlasst, sich pausenlos die Bäume hoch und runter zu jagen. Sonst geht es ihnen wie den Krokodilen, die auf ihrer Insel dösend mit Kieseln bewerfen werden. Als ich den Steine werfenden Teenager bitte, dies zu unterlassen, ernte ich einen verwirrten Blick. Immerhin geht er weiter, seinen Kieselvorrat unter sich lassend. Das Krokodil bewegt sich nachdem er außer Sicht ist. Es lächelt mir zu.