Vely vely Blitish – Shanghais Klein-Britannien

Der Chinese an sich – der geneigte Leser möge mir die typisierende Verallgemeinerung verzeihen – gilt als geborener Fälscher. Oder besser gesagt Nachahmer. Nicht alles gelingt ihm. Davon zeugen Schweinsteiger-Trikots (ManU) mit der Nummer 23, Breitling-Chronografen, die schon beim Anblick das Ticken unterlassen (schlechtes Gewissen?) und die zahlreichen „Prochse“-Shirts (für legasthenische Fans deutscher Qualitätssportwagen).

Selbst in Sachen Architektur lässt sich der Chinese vom alten Europa, sagen wir es harmlos, „inspirieren“. Thames Town nennt sich so eine Siedlung mitten in Shanghais Stadtteil Songjiang. Der Stil ist vely vely Blitish. Ihr Zentrum bildet der Kirchplatz mit einer Kopie der Christ Church in Bristol, einem gepflegten grünen Rasen, rotem Telefonhäuschen und auf edel getrimmten hellen Sandsteinhäuschen, die Namen wie Sandringham tragen und an Bloomsbury in London erinnern – wo wir Anno 77 und 81 auf Klassen- und Auswärtsfahrt weilten. Auch ein bronzener Churchill darf nicht fehlen in diesem wohlfeilen Ensemble britischer Lebensart.

Beim Schlendern von der Church Streetn durch die Oxford Street zur Gower Street fragt man sich, ob man dem Chinesen ob dieser Fälschung böse sein soll. Natürlich nicht. Denn mit Thames Town erweist das moderne China traditioneller  britischer Lebensart die Ehre. Obwohl das Empire die Chinesen hundert Jahre lang verhöhnt, geknechtet, mit Krieg überzogen und opiumsüchtig gemacht hat.

Ach so: Die offenbar meist frequentierten Läden in Thames Town beherbergen Fotografen und Brautkleidverleiher. Und um das britische Ambiente perfekt zu machen, hat man sogar für den typischen Londoner Schnürregen gesorgt.

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