Der 15. Tag des Frühlings gehört in China traditionell den Verstorbenen. Qingming heißt dieses Fest, an dem man die Gräber der Verwandtschaft auf Hochglanz bringt und manche besondere Gabe dort ablegt. Beim Besuch auf dem Friedhof von Xujing kommen Erinnerungen hoch. Mein Onkel Addy pflegte zur Aufheiterung einer Beerdigungsgesellschaft gerne den Witz von dem Trauergast zu erzählen, der seinem Freund bei der Beerdigung drei Frikadellen auf den Sarg wirft – anstelle der üblichen einzelnen Rosen. Auf den Einwand, der Verstorbene könne die Fleischklöpse doch nicht mehr essen, antwortet der Bulettenwerfer lakonisch: „Und wann gießt er deine Blumen?“
Bei uns in Shanghai würde keiner den Witz verstehen. Selbstverständlich stellt man am Qingming-Tag, einerm der wenigen gesetzlichen Feiertage in China, seiner Verwandtschaft ihre Lieblingsspeise ans Grab. Zhou Tian Hao beispielsweise, mit 23 Jahren verstorben, scheint ein guter Kunde bei Mai Dang Lao, vulgo McDonalds, gewesen zu sein. Denn auch im zweiten Jahr nach seinem Tod verwöhnen ihn die Verwandten mit Hamburger, Pommes und Chicken McNuggets (mit süßsaurer Soße übrigens). Dazu gebratenen Fisch, Schweinebauch, noch mehr Frikadellen, drei Bananen und drei Kippen. Der junge Mann braucht offenbar auch im Jenseits sehr viel Kraft und Energie!
Sein Friedhofsnachbar Zhen Mao Da, mit 59 verstorben, war wohl mehr ein Süßmaul. Ihm wurden zum Totengedenkfest Äpfel, Bananen, mit süßer Bohnenpaste gefüllte grüne Dumplings und fünf Kugeln Rocher von Ferrero serviert. Mancher Verstorbene bekommt auch eine Pulle Schnaps in die Ewigkeit mit. Schadet ja jetzt auch nicht mehr …
Der Gräbertag wird von Chinesen in aller Welt am 15. Tag nach der Frühlings-Tagundnachtgleiche (Chun Fen) gefeiert. Gefeiert ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn an Qingming gedenkt man seiner Ahnen, indem man selbst nur kalte Speisen isst und das Beste den Vorfahren vorbehält. Vor der Übergabe von Hamburgern, Schokokugeln und Frischobst werden die Gräber sorgfältig geputzt, vergleichbar der Sitte auf Deutschlands Gottesackern, die winterlichen Schutztannenzweige zu entfernen, Unkraut zu zupfen und Stiefmütterchen in Reih und Glied zu pflanzen.
Hernach verbrennt man, jetzt wieder in China, Totengeld. Das sind bunte Fantasie-Banknoten, manche gleichen dem Dollar, aus Reispapier. Durch Verbrennung geopfert werden auch papierne iPhones und Handys der Marke “Hades”, schicke Herrenoberbekleidung, Qipaos für die Damen und allerlei weitere Luxusgegenstände, alle aus dem selben leicht brennbaren Material. Zum Schluss dekoriert man die Grabstätte mit den Fressalien, die dann – zumindest bei uns in Xujing – umgehend vom Friedhofspersonal abgeräumt werden. Ich vermute, um Rattenfraß zu vermeiden.
Was steckt hinter dem ganzen Ritual? Die verbrannten Dinge sollen den Vorfahren im Jenseits zur Verfügung stehen und sie freundlich
gegenüber den Nachfahren stimmen. Denn unsere Ahnen haben Einfluss auf unser Schicksal. Verwöhnt man sie nicht genug, kann wissen die Götter was geschehen.
Darum werde ich nächstes Jahr an Qingming wohl das Grab von Onkel Addy sorgfältig putzen. Und außer drei Frikadellen noch ein Glas Bier und eine Packung Roth-Händle dort lassen.