„Nein, hier hat noch nie eine Kokosnuss jemanden verletzt.“ Delia lächelt. „Wir schicken immer ein paar Jungs zum Pflücken hoch, wenn sie reif sind,“ Annemarie schaut noch einmal nach oben, wo 15 Meter über uns sieben dicke grüne Kugeln sich unter den Palmwedeln dichtgedrängt an den Stamm schmiegen. Sie neigen sich in unsere Richtung. Skeptisch schüttelt Annemarie den Kopf. Eine Palme weiter haben die Nüsse schon die Farbe in ein leichtes Gelb gewechselt. Fallen oder nicht fallen, das scheint hier die Frage. Delia folgt dem Blick und lächelt wieder. Sie lebt schon seit Jahren hier im Coco Beach Resort als Mutter unserer Service Family. Service family ist die Familie, die sich um unseren und noch ein paar andere Bambusbungalows kümmert, morgens Kaffee und Ananassaft serviert und abends die Moskitonetze über den Betten entrollt.
Ihr merkt, der Shanghai Reporter hat die Stadt verlassen und ist aufs Land gezogen. 2000 Kilometer nach Süden, wo die Temperaturen höher, die AQI-Werte besser und das Leben relaxter ist. Derzeit blickt er auf Berge, deren Dschungelgrün im Abendhimmel graugrün wird und langsam die Farbe des blaugrauen Pazifik annimmt. Oskar schwimmt im Pool. Happy Hour auf Mindoro, Philippinen. Bougainvillea, Hibiskus und wilde Weihnachtssterne säumen den Weg zur Poolbar, die Grillen zirpen und dezent mischen sich das Motorengeräusch der Auslegerboot, die die Taucherausflügler zurückbringen und der brummige Diesel des Generators, der das Resort mit Strom versorgt. Vor dem durstigen Reporter steht ein leeres San Miguel in der klassisch braunen Knolle, dem heimischen Astra nicht unähnlich. „You want another one, Sir?“
Die Kokosnüsse sind immer noch nicht gefallen, aber gepflückt. Marvin und Chito befreien sie von der grünen Schale, schlagen die Kerne auf und kochen das Fleisch zu Öl, das Wasser wird zu Essig vergoren. Wo sitzt eigentlich der Affenmilchmann und angelt? Und warum werden die Kokosnüsse nicht geklaut? Aus dem Öl entsteht die Seife, mit der wir uns hier im Resort waschen, die After-Sun-Lotion, mit der wir unsere angesengte Haut nach dem Sonnenbad beruhigen und die milchige Flüssigkeit, die allabendlich die Moskitos von Besuch und Durchstechung selbiger abhält.
„And they are not just simply falling down?“ Philippinos können falsch lächeln, echt lächeln – übrigens die Mehrzahl – und ernst schauen. Marvin nimmt die Sorgen ernst. Geht mit uns aus seiner kleinen Seifen-Manufaktur heraus und zeigt auf die Nüsse, die an der Palme hängen und die, die auf den Boden auf ihre Verölung warten. Tatsächlich. Was oben hängt ist grün, was unten liegt fast gelb.
Auf dem Rückweg zu unserem Bambusbungalow haben die Kokosnüsse des Damokles ihren Schrecken verloren.
Die Kokosnüsse des Damokles
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